Entscheidende Voraussetzung für die Ausgabe digitaler Wertpapiere in der Schweiz ist die Gesetzgebung zur Digital Layer Technologie (DLT). Das Schweizer Parlament verabschiedete die DLT-Vorlage im September 2020. Seit dem 1. Februar 2021 gilt das “Blockchain-Gesetz”, das digitale Anteilsscheine erst ermöglicht und eine rechtliche Basis bildet.
Startschuss für erste digitale Aktien
Die Regelungen beziehen sich dabei vor allem auf die Aufbewahrung, das Trading sowie die Übertragung der Aktien im Rahmen des sogenannten Settlements. Im Zentrum stehen Registerwertrechte. Dabei handelt es sich um via Blockchain realisierte Tokens, die nicht nur für Aktien, sondern auch für Obligationen oder Partizipationsscheine stehen können. Der 1. Februar 2021 war dann auch gleich der Startschuss für die ersten digitalen Aktien der Schweiz.
Aktien – mit der Blockchain verknüpft
MME ist das Unternehmen, das zuerst digitale Anteilsscheine in der Schweiz entsprechend der neuen Gesetzgebung auf den Markt brachte. Bereits eine Sekunde nach Mitternacht am 1. Februar 2021 war es so weit. Die Schweizer Beratungsgesellschaft kooperierte dafür mit der digitalen Aktienplattform «Daura». Wenige Minuten später folgte das Unternehmen «Aktionariat AG», das seine Aktien mit einem auf der Blockchain Ethereum basierenden Token verknüpfte. Die Gesellschaft offeriert Schweizer Unternehmen eine Reihe von Instrumenten, um einen Markt für ihre digitalen Anteilsscheine zu schaffen. Gleichentags brachte die Krypto-Bank Sygnum – laut Eigenwerbung die erste Digital-Asset-Bank überhaupt – ihre ersten Wein-Tokens auf den Markt.
Früherer Versuch mit Token-Aktien scheiterte
Digitalisierte Assets verändern in Zukunft das Aktiengeschäft. Unterschiedliche Modelle sind am Start. Sygnum etwa will die ganze Palette abdecken: Rechtliche und technische Aspekte von Token-Emissionen, den Handel auf der eigenen Plattform. Aber auch Settlement und Custody. Tokenisierte Aktien sind allerdings nichts völlig Neues, wie Luzius Meisser vom Institut Banking und Finance der Universität Zürich sagt. Meisser ist CEO und einer der Gründer der Aktionariat AG: “Damals verband aber ein Vertrag den Token mit der Aktie.” Dies habe einen entscheidenden Nachteil gehabt: “Die Aktie war schwer zu vermarkten, da ihr eine ausdrückliche rechtliche Grundlage fehlte.”
Alethena, ein früheres von Meisser mitfinanziertes Startup hatte auf diese Methode gesetzt. Die Aktien einzelner Firmen, etwa dem Kryptodienstleister Mt. Pelerin sind bis heute nach dieser Methode tokenisiert. Durch die neue Gesetzgebung besteht heute Rechtssicherheit, da Aktie und Token gleichzusetzen sind. Meisser ist denn auch überzeugt: “Wenn sich digitale Aktien etablieren, dann in der Schweiz.” Ein Blick nach Europa und Nordamerika zeigt: Dort sind die Gesetzgebungen kompliziert und nicht sehr weit.
Gesellschaften, die ihre Aktien über die Blockchain handelbar machen, müssen nach wie vor verschiedene technische Hürden überwinden.
Luzius Meisser, CEO und einer der Gründer der Aktionariat AG
International fehlen verbindliche Standards
Die Schweiz zählt beim Thema digitale Registerwertrechte weltweit – zusammen mit Liechtenstein und Singapur – zu den Vorreitern. Verantwortlich dafür ist nicht nur die vergleichsweise rasche und umfassende Gesetzgebung zum Thema DLT. Auch die Entwicklung des Handelssystems der Schweizer Börse SIX Digital Exchange (SDX) scheint weit fortgeschritten. Es dürfte noch einige Zeit dauern, bis Europa oder Nordamerika auf diesem Niveau sind. Allerdings hat das auch Nachteile. So existieren für DLT-Anwendungen für digitale Wertrechte im Allgemeinen und für digitale Aktien im Speziellen noch keine verbindlichen internationalen Standards. Immerhin scheint sich zumindest mit der sehr oft verwendeten Blockchain Ethereum eine Art Quasi-Standard etabliert zu haben.
Bisher nur kleine Auswahl digitaler Aktien
Ähnlich wie beim digitalen Schweizer Franken können Anleger oder Konsumenten noch nicht wirklich in digitale Assets investieren. Die neuen Anlageprodukte sind Nischenprodukte und eröffnen dem Durchschnittsanleger keine neuen Möglichkeiten. Für Investoren bleibt die Auswahl an digitalen Registerwertrechten in der Schweiz auch Monate nach der veränderten Gesetzgebung noch relativ klein. Es gibt zwar eine Liste der Aktionariat AG. Dort finden sich Schweizer Unternehmen, die ihre Aktien mit Tokens verbunden haben. Die Anzahl ist aber noch relativ klein:
- Boss Info AG
- TBo Shares
- Aktionariat AG AG Shares
- quitt.Shares
- Green Consensus SA Shares
- i.AM Innovation LAB AG Equity
- SEBA Equity Token
- Medignition Share Token
- Dyves Group AG
Zu beachten ist dabei, dass die Liste auch Unternehmen umfasst, die nicht Aktionariat, sondern einen anderen Dienstleister gewählt haben. Darüber hinaus haben lediglich vier der oben gelisteten Aktiengesellschaften eine Marktkapitalisierung von mehr als 10 Millionen CHF. Die Anteile der untersten drei der aufgelisteten Unternehmen sind zudem nicht einmal handelbar. Konkurrenten wie Sygnum verweisen immerhin auf eine volle Pipeline. Diese schliesst allerdings auch andere tokenisierte Assets mit ein.
Anleger könnten dank DLT Geld sparen
Neben dem 1. Februar 2021 ist auch der 1. August 2021 für digitale Anteilsscheine ein wichtiges Datum. Seit diesem Tag sind nämlich auch die Gesetze gültig, die das Trading mit diesen Assets in der Schweiz regeln. Die Zahl der Anlageoptionen für potenzielle Investoren wächst durch die Existenz digitaler Wertpapiere. Zudem könnten Anleger dank DLT irgendwann auch Geld sparen. “DLT ist […] darauf ausgelegt, auch Clearing, Aufbewahrung und Abrechnung effizienter zu gestalten,” betont in diesem Zusammenhang Jacques Iffland, Vorsitzender des Vereins Capital Markets and Technology Association in der «NZZ».
Welche Chancen ergeben sich durch Digital-Aktien?
Es ist nur die Frage, wann und inwieweit Dienstleister diese Effizienzvorteile an Investoren weitergeben. Mit durchaus positiven Folgen:
- Chancen eröffnen sich durch die Tokenisierung und digitalisierte Aktien für kleine und mittlere Unternehmen, die nicht die kritische Grösse für einen regulären Börsengang haben. Denn dieser ist in der Regel mit deutlich höheren Kosten verbunden.
- Die Führung eines in Echtzeit nachgeführten «digitalen Aktienbuchs» ist einer der grossen Vorteile von Aktien-Tokens.
- Last but not least profitieren natürlich die Dienstleister, die Services im Zusammenhang mit der digitalen Aktie anbieten. Neben neu gegründeten Unternehmen finden sich hier auch bekannte Namen aus der Finanzbranche, die damit ihre Wertschöpfungskette erweitern.
Automatisierte Dividenden-Ausschüttung möglich
Tokenisierte Aktien erlauben aber auch automatisierte Prozesse etwa bei der Ausschüttung von Dividenden oder bei Kapitalerhöhungen. Doch es läuft anders als bei Krypto-Tokens wie Chiliz, Bitcoin oder dem Startup-Token Dohrnii. Dies zeigen folgende Aspekte:
- Anleger können die Aktientokens nicht im eigenen Krypto-Wallet aufbewahren. Hier ist wie bei klassischen Aktien ein Handel über Banken und die Aufbewahrung im klassischen Wertpapierdepot notwendig.
- Einer Auslieferung der digitalen Tokens in private elektronische “Wallets” steht mitunter die Bestimmung zur Geldwäscherei entgegen. Ein Unternehmen muss die eigenen Anteilshaber kennen.
- Auch der Gang zum Notar zur Vorlage der Zeichnungsscheine muss noch immer gleich erfolgen wie bei herkömmlichen Kapitalaufnahmen.
Die Einführung der neuen Technologie lässt sich mit dem Wechsel vom Ringhandel zum elektronischen Handel an der Börse vergleichen. Dort folgte auf das Schreien im Pit die elektronische Nachricht. Die Börse aber blieb immer zentral.
Welche Vorteile hat eine Aktiengesellschaft?
Aus Sicht einer Aktiengesellschaft liegen die Vorteile einer Ausgabe und Übertragung ihrer Aktien als DLT-Wertrecht vor allem bei einem Effektivitäts- und Effizienzgewinn, schreibt der Justiz-Newsletter “Weblaw“. So stehen die auf einer Blockchain programmierten Daten als gesicherte Informationen allen Systemteilnehmern gleichzeitig zur Verfügung. “Deshalb ist die DLT besonders in Bereichen interessant, bei denen sich Akteure untereinander abstimmen müssen.” Dies sei beim Clearing und Settlement von Wertschriften der Fall (siehe FAQs am Schluss dieses Posts). Die DLT könne den Koordinationsaufwand bei Transaktionen mit Aktien verringern.
Viele Dienstleister – anderer Leistungsumfang
Gesellschaften, die ihre Anteile in digitale Assets umwandeln möchten, haben derzeit die Qual der Wahl, wie Luzius Meisser sagt: “Es gibt mehr Unternehmen, die Tokenisierung anbieten, als solche, die solche Dienstleistungen nachfragen.” Dabei unterscheidet sich jedoch das Leistungsportfolio dieser Dienstleister teilweise deutlich. Daura etwa bietet Lösungen für eine digitale oder virtuelle Generalversammlung an. Sygnum wiederum ist ein Universaldienstleister und übernimmt für Emittenten praktisch alle relevanten Services. Die Zukunft wird zeigen, welcher Leistungsumfang bei Kunden gefragt ist.
Welche Funktion hat die SIX Digital Exchange (SDX?)
Die SIX Digital Exchange (SDX) ist eine Digitalbörse, deren Start bereits mehrfach verschoben wurde. Sie soll einen komplett integrierten Handels-, Abwicklungs- und Verwahrungsservice für digitale Vermögenswerte offerieren. Unter anderem soll die Digitalbörse auch die Tokenisierung bereits existierender Wertpapiere ermöglichen und für Emissionen ein sicheres Umfeld bieten. Im September 2021 erteilte die Schweizer Finanzmarktaufsicht offiziell ihre Genehmigung.
FAQ – Häufig gestellte Fragen
Bei der digitalen Aktie handelt es sich um Aktien-Tokens. Diese liegen im Gegensatz zu Kryptowährungen wie dem Bitcoin nicht in einer Wallet. Das Schweizer Geldwäscherei-Gesetz verbietet das. Tokenisierte Aktien ermöglichen auch kleineren Firmen den Gang an die Börse. Zudem können Firmen automatisierte Dividenden-Ausschüttungen vornehmen und virtuelle Generalversammlungen durchführen.
Der finanzwirtschaftliche Terminus Custody lässt sich mit Wertpapierverwahrung übersetzen. Das bedeutet: Kunden von Krypto-Banken können ihre digitalen Vermögenswerte wie herkömmliche Anlageklassen einfach und sicher per Auftrag innerhalb der Bankeninfrastruktur kaufen, verwahren und übertragen. Die Banken kümmern sich beispielsweise auch um das Einziehen von Kapitalerträgen oder diverse steuerliche Belange.
Beim Clearing handelt es sich um einen Schritt bei der Abwicklung von Börsengeschäften. Krypto-Banken arbeiten an neuen Systemen für die digitale Abwicklung. Clearing schliesst sich an das eigentliche Handelsgeschäft und den Datenabgleich zwischen Verkäufer und Käufer an. Im Rahmen des Clearings erfolgt die Aufrechnung der Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den Parteien. Danach kommt es zum Settlement.
Settlement ist ein Begriff aus der Finanzwirtschaft und wird für den Handel mit digitalen Aktien neu definiert. Krypto-Banken arbeiten an neuen Systemen für die Abwicklung. Settlement bezeichnet allgemein die gegenseitige Erfüllung von Kassa- und Termingeschäften. Im Kontext des Aktienhandels erhält der Verkäufer Geld und liefert dafür im Gegenzug die gewünschten Aktien an den Käufer. Dieser ist nach Abschluss des Settlements Eigentümer der Aktien.