Interview mit Professor Dr. Katja Rost vom Soziologischen Institut der Universität Zürich.
Es sind plötzlich viele Menschen, die ein Haus besitzen: der eine hat 1000 Tokens à 1 Franken investiert, ein anderer 50 000 Tokens à 1 Franken. Letztlich haben alle einen Anteil am Haus und erhalten auch Teile der Mietzinseinnahmen als Rendite ausbezahlt. Auch Wein, Kunst oder Pferde sind als Tokens «stückelbar».
Wie sieht die gesellschaftliche Zukunft aus – droht sozialer Unmut oder ist die Tokenisierung ein Glücksfall für die Gesellschaft? Was verändert sich, wenn die Gesellschaft plötzlich gemeinsamen Anteil hat an vielen Wertgütern? Wir haben die Wirtschaftssoziologin Prof. Dr. Katja Rost von der Universität Zürich interviewt und auf mögliche soziale Veränderungen angesprochen.
Frau Professor Dr. Rost, die Tokenisierung führt dazu, dass sich Besitztum verteilt – welche Veränderung in der Gesellschaft könnte dies herbeiführen?
Zunächst ist das nichts anderes als die klassische Aktiengesellschaft: Deren Entstehung beruht genau auf diesem Gedanken, dass sich Einzelpersonen zusammentun müssen, um etwas Grosses zu schaffen. Aus diesem Grund wird Besitz verteilt: jeder kauft sich ein. Daraus entstanden dann auch andere Formen, beispielsweise die Genossenschaften. Diese beruhen auf einem analogen Prinzip, ist aber nicht an der Börse notiert.
Aus der Zerstückelung von Wertgütern resultiert nicht unbedingt ein sozialeres und gerechteres Zusammensein der Menschen. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Wirtschafts-Soziologin Prof. Dr. Katja Rost, Universität Zürich
Also kennen wir den Mechanismus bereits?
Die Tokenisierung verändert die Gesellschaft erst einmal gar nicht – es handelt sich schlicht um eine Form der Beteiligung in einem neuen, modernen Gewand. Die AGs sind heutzutage oft zu gross und anonym geworden. Es dominieren Grossaktionäre. Der Kleinaktionär hat nichts mehr zu sagen, er ist zu weit weg vom Tagesgeschäft. Tokenisierung ermöglicht wieder mehr Partizipation und Kontrolle, da es sich oft um kleinere Wertgüter/Unternehmen handelt.
Dass Wertgüter nicht mehr einzelnen (womöglich reichen) Leuten gehören sondern auch den “Kleinen”, wie beurteilen Sie das?
Das war schon immer so. Die Kleinen müssen sich zusammentun, da sie sich das grosse Ganze eben nicht leisten können. Es ist eine Form der Teilhabe an Besitz, auch wenn ich wenig Geld habe. Analog der Aktienfonds, in die man auch kleinere Beträge investieren darf. Natürlich ist es immer besser Alleinbesitzer zu sein: Man möchte statt nur einen Anteil lieber das gesamte Wohnhaus besitzen. Gibt es Reparaturen, darf ich allein entscheiden wie teuer es sein darf, welche Farbe die Wände bekommen und wie umweltfreundlich der Bau ist. Ich habe keine Koordinations- und Abstimmungskosten. Das macht das Leben einfacher …
Wie könnte sich das soziale Verhalten verändern, wenn viele Menschen an den Mieteinnahmen und am geschäftlichen Erfolg partizipieren?
Das sehen wir schon heute bei Eigentumswohnungen: Es gibt oft Streit. Insbesondere wenn es um zukünftige Investitionen oder die Nutzung der Immobilie geht. Genossenschaften habe das Ganze formalisiert, indem man sich einkauft und mitbestimmen darf. Aber das Management geniesst auch mehr Entscheidungsautonomie. Insofern zeigen diese Beispiele, dass ich die Koordination und Abstimmung gut organisieren muss. Grosse Immobilien schaffen auch viele neue Angriffsflächen.
Ist die Zerstückelung von Wertgütern zu befürworten – resultiert daraus womöglich ein sozialeres und gerechteres Zusammensein der Menschen?
Nein – eher das Gegenteil ist der Fall. Eigentum wird dann am meisten gepflegt, wenn es nur mir alleine gehört. Deswegen sieht es in sozialistischen Ländern oft so ungepflegt aus – kaum jemand kümmert sich um etwas. Mit anderen Worten: Es könnten ja auch die anderen übernehmen … Wenn jeder so denkt, kümmert sich am Ende niemand mehr um das Gut. Der Zusammenhalt erodiert entsprechend, weil jeder aus dem Gut partizipieren aber nicht in dieses investieren möchte. Es kommen auch Gerechtigkeitsfragen auf: Warum darf jemand Gewinn einstreichen, obwohl er nichts beigetragen hat? Es entsteht sozialer Unmut.
Zur Person
Prof. Dr. Katja Rost ist seit dem Jahr 2012 Ordinaria am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die Wirtschafts- und Organisationssoziologie. Sie studierte Soziologie an der Universität Leipzig, promovierte in Wirtschaftswissenschaften an der TU Berlin und habilitierte an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich. Webseite Soziologisches Institut der Universität Zürich Twitter Sozilogisches Institut